Bei den Menschen, die uns wichtig sind. Haustürwahlkampf in Göttingen

Ich klingel an der ersten Tür. Niemand macht auf. Zweite Klingel. Ich bin mit einer Genossin unterwegs, die genauso nervös ist wie ich. Wir haben ein großes Klemmbrett in der Hand, auf dem „DIE LINKE“ steht. Ein Mann öffnet, läuft an uns vorbei, nur mit kurzem Seitenblick: „Keine Zeit“. Seine Frau geht hinterher, etwas aufgeschlossener. Ob sie zwei Minuten Zeit hat, wir würden uns dafür interessieren, wie sie das Land sieht, was sie stört und was besser werden soll“, fragen wir freundlich. Auch noch ein bisschen verschüchtert vielleicht, wir wollen den Menschen ja nicht auf die Nerven gehen. Wieder „Keine Zeit“. Es ist kein bedauerndes „keine Zeit“, davon werden wir im Laufe des Tages auch noch einige hören. Man merkt den Unterschied recht schnell. Ihr Mann ruft nochmal rüber „Mit Politik haben wir nichts zu tun.“

Göttingen ist vielfältig. Wir sind hier nicht in einem Studentenviertel, hier leben Arbeiter:innen, einfache Angestellte, viele Migrant:innen, Uniangestellte, auch ein paar Studierende. An den Haustüren sehe ich viele Rentner:innen. Es gibt einige Reihenhäuser, überwiegend aber Wohnblöcke und Genossenschaftsbauten. Hier leben also unsere Leute. Oder: diejenigen, für die wir da sein wollen, mit denen wir gerne Politik machen wollen.

Unser Kaltstart in den Haustürwahlkampf beginnt ruppig, Menschen, die mit Politik nichts zu tun haben wollen, begegnen wir an diesem Samstagmorgen noch öfter. Einige werden das achselzuckend sagen, einige mit Wut in der Stimme. Ich sage, dass ich das verstehen kann, es aber schade finde, weil wir wirklich gerne ihre Sichtweisen kennenlernen würden. Etwas Material von uns nimmt die Frau an Tür Nummer 2 an. Ob es direkt in die Papiertonne wanderte? Das weiss ich nicht. Später am Tag sagen uns aber auch Bürgerinnen und Bürger, die ähnlich verschlossen sind, sie fänden es gut, dass sich überhaupt mal wer zeigt. Ein Anwohner, der in einem betreuten Wohnprojekt lebt, sagt am Ende eines Gesprächs, es nötige ihm Respekt ab, dass wir da waren. Ich habe geschluckt, als ich das hörte. Seltsam erstmal, warum Respekt für zwei Linke, die eigentlich nur zuhören wollen? Später dachte ich, er wollte damit vielleicht nur sagen, dass sonst niemand zuhören will. Und vielleicht ist diese Geste, dass wir uns ehrlich interessieren, schon sehr viel. Und möglicherweise hat auch das Paar an Tür 2 diese Geste ein wenig geschätzt. Vielleicht hat es auch Freunden davon erzählt: da waren zwei von der LINKEN.

Haustürwahltürwahlkampf also. Unser erster Versuch in Göttingen. Und um abzukürzen: es öffnen uns auch Bürgerinnen und Bürger, die uns anlächeln und sich freuen uns zu sehen. An der sechsten Haustür öffnet eine Frau in ihren Fünfzigern, die auf dem Sprung ist. Ihr Lächeln sagt aber „schön, dass Sie da sind!“ Ob sie sich vorstellen kann uns zu wählen, frage ich am Ende des kurzen Gesprächs. Habe sie noch nicht drüber nachgedacht, aber denkbar sei es, wo wir doch persönlich vorbeigekommen seien.

Warum gehen wir an die Haustüren? Es ist Wahlkampf, könnte man sagen, also machen wir das, um Stimmen zu gewinnen. Das ist nicht ganz falsch, weil Stimmen bei einer Wahl zu bekommen ja heißt: die Menschen unterstützen unsere Vorschläge, die wir für das Land machen. Also ja, wir wollen Unterstützung gewinnen für ein Programm, das wir für ein Programm für die Mehrheit halten. Theoretisch weiss ich natürlich, dass die Mehrheit dieser Mehrheit nicht oder nicht genau weiss, was wir eigentlich vorschlagen. Beim Haustürwahlkampf lerne ich das nochmal neu. Sozusagen auf dem Platz. Uns begegnen viele, die natürlich wissen, dass es DIE LINKE gibt, aber höchstens eine Ahnung haben, wie so ein Linker vor Ort eigentlich aussieht und welche Reformen wir vorschlagen. Und wenn man an einer Haustür steht, mit einem frustrierten alleinstehenden Rentner redet, sich mit einem Menschen zu verständigen sucht, der nur schwer Deutsch spricht oder gesagt bekommt „wir wollen nur unsere Ruhe“, dann ahnt man zumindest, wie voraussetzungsvoll es ist, die Menschen über Plakate, Werbeanzeigen, Talkshowaufritte oder Flyer zu erreichen. Wir werben also um Unterstützung.

Aber das ist nur die Oberfläche. Wir machen Haustürwahlkampf, weil wir glauben, dass es einen wachsenden Riss gibt in unserem Land, sich mehr und mehr Menschen nicht mehr gesehen und vertreten fühlen von den politischen Parteien. Einige ahnen sich politisch verlassen von „den Politikern da oben“, andere fühlen sich nicht abgeholt, wieder andere sind interessiert und wollen etwas machen, werden aber enttäuscht.

Mir ganz persönlich ist der Haustürwahlkampf wichtig, weil ich mit den Menschen ins Gespräch kommen will, weil ich wissen will, wo ihnen der Schuh drückt, was ihre Themen und Anliegen sind. Ich will, dass sie wissen, dass ich und dass wir als LINKE für sie da sind, da sein wollen. Dass wir „ihre“ Partei sein möchten.

Ein großer Anspruch, wenn man es recht bedenkt, und ein Wunsch nach Vertrauen, das wir uns verdienen müssen. Also: Haustürwahlkampf. Und Vertrauen gewinnt man nicht schnell. Wusste ich vorher, nach den ersten drei Stunden an den Haustüren weiss ich es aber nochmal besser. Es wird ein langer Weg, um nicht nur eine erlebbare, zuhörende und anpackende Partei vor Ort zu werden, sondern um Offenheit und Wohlwollen zu gewinnen. Und offen gesagt: die Skeptiker:innen, die wir treffen, haben ja recht. Aber der lange Weg wird nötig sein, weil es nur so besser werden wird im Land.

Das ist kein PR-Sprech, sondern – ich gebe das ehrlich zu – politisches Kalkül: Wir werden nur bessere Renten und einen höheren Mindestlohn durchsetzen, wenn Menschen, die von Armutslöhnen und Armutsrenten betroffen sind, Hoffnung haben. Mieten deckeln und die Drehtür zwischen Parlamenten und Konzernen werden wir nur schließen, wenn Bürgerinnen und Bürger daran glauben, dass es eine Alternative zur Selbstbereicherung gibt, die mal plump, mal subtil passiert. Und Hoffnungslosigkeit ist auch der größte Feind einer sozial gerechten Klimaschutzpolitik, bei der nicht die Ärmsten die Zeche zahlen, sondern wir die Interessen der Beschäftigten und Erwerbslosen in den Vordergrund stellen.

Es war übrigens ein schöner, ein guter Tag. Wir waren 14 Genoss:innen, die meisten neu in der Partei, einige bei uns, aber noch keine Mitglieder. Wir haben an 306 Türen geklopft, 122 Gespräche geführt, 56 positive Rückmeldungen bekommen, 27 Bürgerinnen und Büger sagten, sie würden uns wählen. Eine gute Erfahrung. Und ein Anfang.